Der achte Kontinent
- stilwerk
- 2. Juni
- 8 Min. Lesezeit
Spannende Auszüge über die Geschichte der Monderkundung aus dem Buch „Traum von der Reise zum Mond“ von Lukas Feireiss.

Seit Jahrhunderten sind die Menschen in allen Kulturen fasziniert vom Mond, dem einzigen Himmelskörper neben der Sonne, den wohl jeder Mensch erkennt. Er weckt Träume von der Reise zu fernen Planeten. Lange bevor Ingenieure und Wissenschaftler ernst machten mit der Mondreise, hatten Künstler und Schriftsteller sie bereits in nahezu all ihren Aspekten erkundet. Unser nächster astronomischer Nachbar, der Mond – nur drei Tagesreisen mit der Rakete entfernt –, ist Visionären rund um den Globus auch heute noch Anstoß zu kreativer Projektion und Spekulation. Fast fünf Jahrzehnte nach dem ersten Mondspaziergang zeichnet das Buch von Lukas Feireiss die visuelle Kulturgeschichte der Monderkundung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach.
DER ACHTE KONTINENT
Soweit wir wissen entstand der Mond vor 4,5 Milliarden Jahren, als ein Planeten-„Embryo“ auf die noch junge Erde prallte – diese war damals rund 30 bis 50 Millionen Jahre alt. Durch diese Kollision entstand eine Wolke von Schutt, die sich wieder verdichtete und so den Mond bildete. In diesem Sinne ist der Mond gar keine andere Welt, denn er wurde aus unserer Erde geschaffen. Der Mond ist der achte Kontinent unseres Planeten und bewahrt eine Erinnerung an die sehr frühe Zeit unseres Sonnensystems.
DER GROSSE MONDSCHWINDEL
Im August 1835 veröffentlicht die New Yorker Tageszeitung „The Sun“ eine mehrteilige Titelgeschichte über die vermeintliche Entdeckung von Leben, ja sogar einer Zivilisation auf dem Mond. In dem Bericht werden fantastische Tiere beschrieben, die auf dem Mond leben sollen: darunter Bisons, Ziegen, und Einhörner. Untergeschoben werden die Entdeckungen dem bekanntesten Astronomen der Zeit, Sir John Herschel. Als Verfasser des Artikels, der später als „großer Mondschwindel“ bezeichnet wird, wird der Reporter Richard Adams Locke ausgemacht. Der Vorfall gilt als erstes Exempel großangelegter, mutwilliger Fälschungen im Zeitungsjournalismus.
VON DER ERDE ZUM MOND
Der Pionier des Weltraumzeitalters ist zweifellos der französische Schriftsteller Jules Verne mit seinem bahnbrechenden Roman „Von der Erde zum Mond“ (1865) und dem Nachfolgeband „Reise um den Mond“ (1870). Die Geschichte folgt drei Männern auf ihren Reisen fort von der Erde und um den Mond. Mit der Veröffentlichung von Vernes Romanen wird die Möglichkeit, durch den Weltraum zu reisen, von einer Fantasie zur bloßen Herausforderung viktorianischer Ingenieursleistung. Seine Bücher werden zur direkten Inspirationsquelle für frühe Raketenforscher.
JENSEITS DER WIEGE
1903 veröffentlicht der Vater der Raketenwissenschaft, Konstantin Ziolkowski, den Artikel „Die Erforschung des Weltraums mittels Reaktionsapparaten“. Darin gelingt ihm erstmals der Beweis, dass eine Rakete tauglich sein könnte für den Flug ins und durch das Weltall. Er entwickelt eine Reihe von Ideen über Raketenantrieb und die Verwendung von flüssigen Raketentreibstoffen. In seiner Begründung für die Erkundung des Weltraums von 1911 heißt es: „Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber man kann nicht ewig in der Wiege bleiben.“
RENDEZVOUS IN DER MONDUMLAUFBAHN
Im Jahr 1919 formuliert Juri Kondratjuk, ein visionärer 22-jähriger Ingenieur und Mathematiker aus der Ukraine, ein theoretisches Konzept für künftige Mondlandungen: das sogenannte „Lunar Orbit Rendezvous“. Als der amerikanische Astronaut Neil Armstrong nach seinem historischen Mondflug die Sowjetunion besucht, nimmt er eine Handvoll Erde von Kondratjuks Grundstück in Nowosibirsk mit, um dessen bedeutenden Beitrag zur Raumfahrt zu würdigen.
VEREIN FÜR RAUMSCHIFFAHRT
Die erfolgreichen Veröffentlichungen von populären Wissenschaftspublizisten wie Hermann Oberth, Willy Ley und Max Valier führen dazu, dass Deutschland in den späten 1920er Jahren kurzfristig von einem Raketenfieber geschüttelt wird. Nach der Aufführung von Fritz Langs Science-Fiction-Stummfilm „Frau im Mond“ (1928/29) wird sogar ein Verein für Raumschiffahrt gegründet. 1930 tritt der Verein an die deutsche Wehrmacht heran und erhält die behördliche Genehmigung, ein ehemaliges Munitionsdepot in Berlin zu nutzen, um selbst entworfene Raketen zu testen.
NAZI-RAKETEN-FORSCHUNG
Das jüngste Mitglied des 1934 von der nationalsozialistischen Reichsregierung aufgelösten Vereins für Raumschiffahrt, Wernher von Braun, träumt weiterhin von der Mondreise. Er wird eine Zentralfigur der sich entwickelnden Raketentechnologie im Zweiten Weltkrieg in Deutschland, später dann in den Vereinigten Staaten. Als die Nazis die Macht übernehmen, setzen sie die Raketenwissenschaft auf die nationale Agenda. Von Braun und seine Mannschaft erhalten ein Startkapital von 20 Millionen Reichsmark, um an der Ostsee in Peenemünde Raketengeschosse zu entwickeln. 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, startet der damals erst 30-jährige von Braun die Rakete „Aggregat 4“, die später als V2 „Vergeltungswaffe“ in die Geschichte eingehen wird.
DISNEYS MOND
Für die TV-Show von Walt Disney werden drei kurze Disneyfilme über die Zukunft der Weltraumforschung unter den Titeln „Man in Space“, „Man and the Moon“ und“ Mars and Beyond“ zusammen mit Experten wie Wernher von Braun produziert. Die Sendungen geben einen historischen Abriss der Raketenwissenschaft und ein Schritt-für-Schritt-Programm für den Weg ins All. Fast 100 Millionen Menschen sehen 1955 die erste Folge – die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung. Unter den Zuschauern befindet sich auch Präsident Dwight D. Eisenhower, der von den Aussichten ins All so fasziniert ist, dass er eine Kopie des Films ausleiht, um sie im Pentagon vorzuführen. Vier Monate später verkündet Eisenhower, dass die Vereinigten Staaten 1957/58 einen Satelliten starten werden.
LAIKA
Kurz nach dem Start des Erdsatelliten „Sputnik 1“ (1957) präsentiert die Sowjetunion der Welt die erste Heldin des Weltraumflugs: Laika, ein Moskauer Straßenhund. Sie ist das erste Tier, das die Erde umkreist – an Bord von „Sputnik 2“. Laika überlebt etwa drei Tage lang, dann stirbt sie infolge der Hitze in der Kabine. Das Experiment erbringt den Beweis, dass ein Lebewesen den Start in die Umlaufbahn und die Schwerelosigkeit unversehrt überstehen kann. Damit bereitet es der Menschheit den Weg zu Reisen in den Weltraum.
WIR HABEN UNS ENTSCHLOSSEN, ZUM MOND ZU FLIEGEN
1962 verkündet John F. Kennedy in seiner legendären Mondrede an der Rice University, dass die Vereinigten Staaten noch vor Ende der Dekade einen amerikanischen Bürger zum Mond befördern wollen.
WELTRAUM-VERTRAG
Die Entwicklung des Raumflugs wird unweigerlich zu einer Frage internationaler Politik. Der Weltraum-Vertrag von 1967 bildet die Grundlage des länderübergreifenden Weltraumrechts. Er untersagt, Nuklear- oder sonstige Massenvernichtungswaffen in die Erdumlaufbahn, auf den Mond oder andere Himmelskörper zu bringen. Außerdem beschränkt der Vertrag die Nutzung des Mondes auf friedliche Zwecke und untersagt jeglichen Waffentest und den Bau militärischer Basen. Der Mond wird zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ erklärt.
SILVER FACTORY
Ein unbedingtes Vertrauen in die Versprechen künftiger Technologien wird zur Grundlage eines neuen Zeitgeistes, der auch zahlreiche Gestalter der 60er Jahre beeinflusst. Überall auf der Welt spürt man die Bedeutung des Weltraums für die Künste und das kulturelle Leben. Selbst Andy Warhols berühmte „Factory“ in New York wird mit Alufolie ausgekleidet, mit silberner Farbe besprüht und mit Bruchstücken von Spiegeln dekoriert, um einem Raumschiff zu ähneln.
ODYSSEE IM WELTRAUM
Zur selben Zeit nimmt der US-Regisseur Stanley Kubrick in seinem rätselhaften Science-Fiction-Meisterwerk „2001: A Space Odyssey“ („2001: Odyssee im Weltraum“, 1968) auf geradezu unheimliche Weise die ikonografische Macht des bemannten Raumflugs vorweg. Kubricks Imagination geht den berühmten Live-Fernsehbildern der Erde und des Mondes noch voraus, die Apollo 8 wenige Monate später sendet und die die Fundamente der menschlichen Kultur, Erfahrung und Selbstwahrnehmung erschüttern.
SPACE ODDITY
Der britische Popstar David Bowie veröffentlicht eine berühmte Single, die auf Kubricks Film anspielt: „Space Oddity“ (1969). Die Weltraumballade erzählt von Major Tom, einem fiktiven Astronauten, der zufällig den Fesseln der Welt entkommt, um jenseits der Sterne auf Reisen zu gehen.
APOLLO 11
Am 16. Juli 1969 startet der erste bemannte Flug zum Mond: die US-Mission Apollo 11. Die dafür eingesetzte Saturn-V-Rakete wird mit einer Höhe von 110m, einem Durchmesser von 10m und einem unglaublichen Gewicht von 2.800.000 kg die größte, schwerste und stärkste Rakete bleiben, die je gestartet wurde.
EIN KLEINER SCHRITT
„Ein kleiner Schritt für einen Mann, ein riesiger Sprung für die Menschheit“, verkündet Neil Armstrong am 20. Juli 1969 live einem weltweiten Fernsehpublikum. Das berühmte Zitat und Armstrongs Fotografie von seinem Kollegen Buzz Aldrin auf der Oberfläche des Mondes werden schlagartig zu Ikonen der US-Weltraumforschung. Schätzungen zufolge sieht ein Fünftel der Menschheit die Live-Übertragung des Mondspaziergangs. Armstrong ist der Erste, der die Mondoberfläche betritt: Er verbringt dort etwa zweieinhalb Stunden und entfernt sich maximal 60m von der Mondlandefähre. Erstaunlich ist die Bezahlung der Astronauten auf dem historischen Apollo-Mondflug: acht Dollar pro Tag, abzüglich Unterbringungsgebühr. Es heißt, Aldrin habe noch einen gerahmten Reisekostenbeleg an der Wand: „Von Houston nach Cape Kennedy, Mond, Pazifischer Ozean. Erhaltener Betrag: $ 33,31“.
WIR KAMEN IN FRIEDEN
Nach ihrem Mondspaziergang hinterlassen die Astronauten unter anderem die Flagge der Vereinigten Staaten und eine Plakette mit zwei Zeichnungen der Erde, den Signaturen der Astronauten sowie des Präsidenten Nixon und einer Inschrift. Diese lautet: „Hier haben erstmals Menschen den Mond betreten, Juli 1969 A.D. Wir kamen in Frieden, stellvertretend für die gesamte Menschheit.“
MISSION ERFÜLLT
Die letzte Mission des Apollo-Mondprogramms der Vereinigten Staaten führt am 7. Dezember 1972 zum sechsten Mal erfolgreich Menschen auf den Mond. Apollo 17 bricht diverse Rekorde: Es ist bis heute der längste bemannte Mondflug mit dem längsten Außenbordeinsatz auf der Oberfläche des Mondes, der größten Menge gesammelter Proben und dem längsten Flug in der Mondumlaufbahn.
ABLEGER
Das Apollo-Programm wird als größte technologische Errungenschaft der Menschheitsgeschichte bezeichnet. So bildet das im NASA-Programm gewonnene Wissen eine Basis der modernen Computertechnik. Ein Beispiel ist die Verkleinerung von Computerchips als Folge früher bemannter Raumflugaktivitäten. Einige der bemerkenswertesten Ableger allerdings haben ihre Anwendung im medizinischen Bereich, wie etwa Röntgen- und Ultraschalltechniken.
MOON BOOTS
Selbst das Design und die Herstellung von Sportschuhen profitieren von der Apollo-Technologie. Der „Moon Boot“ ist ein revolutionärer Turnschuh: Er dämpft Stöße besser ab, gibt mehr Halt und verbessert die Bewegungskontrolle, da er Technologie und Prozesse aus der Entwicklung der NASA-Raumanzüge übernimmt.
MOND-VERSCHWÖRUNG
1976 veröffentlicht Bill Kaysing – früher angestellt in der Publikationsabteilung des Unternehmens, das die Saturn-V-Rakete gebaut hat – im Selbstverlag das Buch „We Never Went to the Moon: America’s Thirty Billion Dollar Swindle“. Darin nennt er eine Reihe Argumente, die beweisen sollen, dass die Mondlandung ein Fake war – und startet damit eine ganze Bewegung.
OBAMA
Als sich abzeichnet, dass die Pläne der NASA, zum Mond zurückzukehren, nur mit deutlich höheren Ausgaben zu realisieren wären, kündigt US-Präsident Barack Obama an, das Programm werde 2011 auslaufen. In einer Ansprache im Kennedy Space Center sagt er im April 2010: „50 Jahre nach der Schaffung der NASA wollen wir nicht einfach mehr nur einen bestimmten Ort im All erreichen. Unser Ziel ist, dass Menschen im Weltraum über lange Zeit arbeiten, lernen und leben können, vielleicht sogar unbegrenzt.“
MONDBASIS IM 3D-DRUCK
Angesichts der Schwierigkeit, Baumaterial zum Mond zu transportieren untersucht ein Konsortium, das die Europäische Weltraumorganisation gegründet hat, die Nutzung von Mondstaub (so genanntes Regolith) als Baumaterial. Dafür entwirft das britische Architekturbüro Foster+Partners eine Mondbasis, die Platz für vier Menschen bietet, außerdem Schutz vor Meteoriten, Gamma-Strahlung und heftigen Temperaturschwankungen. Die Basis entfaltet sich aus einem zylindrischen Modul, das per Rakete transportiert werden kann. Am Ende dieser Röhre wird eine Gerüst-Kuppel aufgeblasen, über die mithilfe eines robotergesteuerten 3D-Druckers mehrere Schichten Regolith als Schutzhülle gesetzt werden.
SCHÜRFROBOTER AUF DEM MOND
Im Februar 2014 fordert die NASA im Rahmen des CATALYST-Projektes US-Unternehmen auf, sich für die Konstruktion von Schürfrobotern für den Mond zu bewerben und sich somit die ersten Schürfrechte dort zu sichern. Der Hintergrund: Viele Elemente, die auf der Erde selten sind, finden sich auf dem Mond reichlich. So zeigen Satellitenbilder, dass die obersten 10 cm Staub am Südpol des Mondes etwa die 100-fache Konzentration an Gold aufweisen wie die reichsten Minen der Erde. Neben seltenen Mineralien sind es vor allem H20 und Helium-3, denen besondere Aufmerksamkeit gilt. Helium-3 vom Mond könnte genutzt werden, um Kernfusionsreaktionen auszulösen, die stark genug sind, ganze Städte mit Energie zu versorgen.
„Der Traum von der Reise zum Mond“ von Lukas Feireiss ist erschienen bei Spector Books, Leipzig, 2016.






