In was sollte man investieren? Lohnt sich Kunst noch – oder setzt man auf Kryptowährung und Design? Cheyenne Westphal ist die deutsche Chairwomen beim renommierten Londoner Auktionshaus Phillips. Im stilwerk-Interview erzählt sie vom Wandel der Branche und wie Investment in schöne Dinge heute funktioniert.
© Monika Hoefler
Interview: Silke Roth
stilwerk: Was passiert bei einem der größten Auktionshäuser, wenn plötzlich die Welt stillsteht?
Cheyenne Westphal: Zuerst war es ein großer Schock. Aber wir konnten uns schnell neu orientieren. Seit 2014 haben wir die Strategie „digital first“, unsere Online-Plattformen waren also schon hervorragend ausgebaut. Aber wir mussten uns fragen: Wie können wir Auktionen Sammlern näherbringen, die einfach nicht kommen können? Wir haben uns noch tiefer in unsere Käufer hineingedacht. Von der Art und Weise, wie wir die Objekte fotografiert und gefilmt haben, bis zur Präsentation und Videoproduktion der Auktionen.
stilwerk: Was ist daraus entstanden?
C.W.: Beispielsweise virtuelle Rundgänge in Galerien, die voll mit Bildern gehängt waren, aber ohne Kunden. Das Live-Streaming einer Auktion kam auch dazu. Hier mussten wir etwas entwickeln, an dem Kunden aktiv teilnehmen können, und alles musste genauso spannend sein wie eine analoge Auktion. Anstatt 200 Gästen im Saal, 30 Telefonleitungen und ein paar Online-Bietern haben wir jetzt eine völlig neue Situation: eine Mischung digitaler Präsenz und Live-Streaming – viel versierter als vor der Pandemie. Vor Jahren haben wir schon eine App entwickelt, damit beim Mitbieten keiner am PC hängen muss. Diese Freiheit beim Kaufen ist die Zukunft.
stilwerk: Verjüngt sich mit dieser Veränderung die angestaubte Auktionswelt?
C.W.: Man muss es im großen Ganzen sehen. Technische Innovationen transformieren die Kunstwelt und damit auch die Käuferschaft. Die nächste Generation steht bereit. Besonders in Asien ist der Zuwachs an jungen Käufern am stärksten. Dort gehen 34 Prozent unserer globalen Verkäufe hin. Die junge Generation beeinflusst also deutlich den Kunstgeschmack. Diesen Kunden reicht es nicht mehr, nur einen Katalog zum Durchblättern zu bekommen, sie möchten etwas erleben. Hier fließen gerade unsere ganze Kreativität hinein.
stilwerk: Viele Künstler setzen ihre Werke mittlerweile nur noch im digitalen Raum um. Glauben Sie an den Hype von Kryptowährung & Co.?
C.W.: Was wir sehen, ist ein Medium, das sehr ernstgenommen wird. Wir haben auch unsere ersten NFTS – Non-Fungible Tokens – angeboten und sehr viel gelernt. Positiv und spannend, aber man muss genau hinschauen, woher das Geld kommt. So eine Währung kann man nicht von irgendjemandem annehmen. Doch es gibt viele Sammler in der Kryptowelt, die wir gar nicht kannten. Sie agieren allein im digitalen Raum. Darunter gibt es Käufer, denen das digitale Wallet auf dem Handy weit wichtiger ist, als eine Kunstsammlung an der Wand hängen zu haben. Unser erstes NFT war vom kanadischen Künstler Matt Dog Jones, ein großes Talent der aufkommenden Krypto-Art. Das Werk nannte er „Replicator“. Im Grunde ein digitales Bild – sehr farbenfroh und cartoonartig, mit einer alten Kopiermaschine im Mittelpunkt. Wer dieses NFT besitzt, kauft mehrere Generationen, sprich Versionen des Bildes mit. Es verändert sich regelmäßig, wie Duplikate beim Kopieren. Wir haben es schließlich für 4,1 Millionen US-Dollar verkauft. Was für ein Erfolg! Die ganze Art-Szene will gerade herausfinden, was hinter dem Hype um Tokens und Coins steckt, aber als Auktionshaus dürfen wir unseren Kuratoren-Instinkt nicht verlieren.
stilwerk: Können Kunstwerke uns helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen?
C.W.: Alle Künste, auch die Literatur, die Architektur, Mode oder Musik werden in der Gesellschaft immer eine wichtige Rolle spielen. Wir stehen jetzt natürlich vor gewaltigen Aufgaben und brauchen auch in der Kunst das Beste vom Besten. Wir müssen sehr drastische Lösungen für unsere Welt finden, und es wird immer Kunst geben, die sich damit auseinandersetzt. Aber wie genau die Zukunft aussieht, weiß ich natürlich auch nicht.
stilwerk: Sie kuratieren nicht nur Kunst, sondern auch Design. Wie entwickelt sich hier der Markt?
C.W.: Der Markt für Design hat sich unheimlich entfaltet. Design fängt bei uns so richtig in den 40er- und 50er-Jahren an. Hauptaugenmerk sind aber die 60er-Jahre aus Italien und Skandinavien, von unserem US-Standort kommen amerikanische Ikonen dazu. Zusammen mit ein paar jüngeren Design-Objekten entwickelt sich so ein spannender Mix für Sammler. Wir haben gespürt, dass das Bedürfnis, mit gutem Design zu leben, sich wahnsinnig verstärkt hat. Mittlerweile ist Design auch eine erschwingliche Geldanlage. Man kann mit einem Design-Objekt wunderbar 20 Jahre leben und es dann mit riesigem Zugewinn verkaufen. Es lohnt sich wirklich, hier zu investieren!
Oben vl.n.r.: Isamu Noguchi | "The Goodyear Table" for A. Conger Goodyear, Old Westbury, New York | 1939 | Auktion New York, 16.12.2014, verkauft für $ 4.450.500 // Jean Prouvé | "Direction" armchair, manufactured by Les Ateliers Jean Prouvé and editioned by Steph Simon | ca. 1951 | Auktion New York 9.06.2021, verkauft für $ 176.400 // Jean Dunand | Set of three nesting tables | ca. 1925 | Auktion London 19.06.2020, verkauft für $ 200.000 // Unten v.l.n.r.: Gio Ponti | Prototyp "Mariposa" Sofa, designed für XI Milan Triennale | ca. 1957 | Auktion London 12.11.2020, verkauft für $ 252.000 // Eileen Grey | The Maharaja of Indor'es "Transat" chair, vom Manik Bagh Palace | 1930 | Autkion New York 16.12.2014, verkauft für $ 1.538.500 // Hans J. Wegner | Early "Architect's desk", model No. JH571 | designed 1953, produziert ca. 1955 | Auktion Hong Kong 26.11.2018, verkauft für $ 350.000 // Alle Bilder © Philipps
stilwerk: Ist es schwerer ein Designobjekt zu verkaufen als ein Kunstwerk?
C.W.: Nein, viel leichter. Design ist preislich günstiger. Objekte unter 20.000 Euro verkaufen wir an Einzelbieter mit großer Sammelleidenschaft. Ein Besteck etwa von Gio Ponti aus den 60er-Jahren wollen 20 bis 30 Personen haben. Es gibt aber auch ganze Länder, die aktiv sammeln, um eine Ausstellung für eine Institution zusammenzustellen. In den Mittleren Osten und nach Asien verkaufen wir unsere besten und begehrtesten Design-Stücke.
stilwerk: Welche Design-Objekte sind aktuell besonders gefragt?
C.W: Es wird viel für das Haus gekauft – Stühle, Sessel, Lampen jeder Art, Sofas, Esstische. Keramikarbeiten bekannten Künstler sind sehr trendy. Viele Kunden verlieben sich schon im Onlinekatalog in die Stücke.
Steigert Patina den Wert von Objekten oder verringert sie ihn?
C.W: Es kommt auf die Patina an. Bei einem Stück, das sehr viel erlebt hat und repariert worden ist, verringert sich der Wert natürlich. Bei Holzmöbeln ist es wichtig, darauf zu achten, dass alles intakt ist und nichts ausgewechselt wurde. Expertise spielt dabei eine große Rolle, deshalb ist unser Herzstück das Lagerhaus. Alles wird hier inspiziert und durchleuchtet. Patina ist dann gewünscht, wenn ein Stück etwa aus den 60er-Jahren kommt und noch den Originalbezug hat, auch wenn der Stoff vielleicht etwas schäbig aussieht. Es gibt Sammler, die diesen Bezug unbedingt haben wollen und einen neuen drüberlegen. So bleibt das Original weiter intakt. Patina und Alterserscheinungen sind in einem bestimmten Rahmen sehr gern gesehen (lacht).
stilwerk: In was würden Sie heute investieren?
C.W: In junge Kunst oder junges Design. Design hat längst einen Kunstanspruch. Im Londoner Designmuseum oder dem Musée des Arts Décoratifs in Paris werden Design-Ikonen als Kunstobjekte des 20. und 21. Jahrhundert gezeigt. Und dieser Anspruch wird ganz sicher weiterwachsen.
stilwerk: Was ist ihr liebstes Designobjekt im Alltag?
C.W.: Ich bin ein großer Design-Fan, sitze gerade auf meinem kalifornischen „T-Chair“ und an einem Esstisch von Milo Baughman. Beides amerikanische Mid Century-Stücke aus den 60er- und 70er-Jahren. Über mir hängt eine „Uchiwa“-Fächerlampe von Ingo Maurer, einem deutschen Industriedesigner, den ich sehr schätze, der aber leider vor zwei Jahren verstorben ist. Ich besitze aber auch dänische Stühle und Sessel. Wenn ich mir etwas Besonderes kaufen möchte, stöbere ich gern bei Design-Auktionen.
stilwerk: Dürfen Sie bei Phillips überhaupt mitbieten?
C.W: Ein Glück, ja! Ich gehe immer durch die Ausstellung und würde mir gern so viel im Bereich Design selbst kaufen, aber ich muss mein Gebot vorher abgeben und darf nicht live bieten. Ich muss Ihnen aber ganz ehrlich sagen, dass ich bei Phillips noch nichts erstanden habe, weil derart gute Preise erzielt werden, dass ich weg war. Fünfmal habe ich erfolglos versucht, einen Schreibtisch zu kaufen ... – aber ich bleibe dran!
Das Interview führte Silke Roth im Rahmen unseres Magazins "Comeback", das im Herbst 2021 erschienen ist.
Yorumlar