The African Way
- stilwerk
- 18. Juni
- 8 Min. Lesezeit
Sie unterhalten Büros in Europa und den USA. Sie realisieren Projekte in den Vereinigten Arabischen Emiraten und China, bauen überall auf der Welt. Und doch ist es gerade der afrikanische Kontinent, dem sich Mariam Kamara, Francis Kéré, Sir David Adjaye und Christian Benimana immer wieder verstärkt widmen: eine Architektin und drei Architekten, die längst zu internationalem Renommee gefunden haben und zu den bedeutendsten Stimmen der gegenwärtigen Baukunst zählen.

Text: Manuel Almeida Vergara Zwischen Museumsbauten und Shoppingmalls oder modernen Wohn- und Gemeinschaftskonzepten sind es vor allem soziale und gesellschaftlich wie kulturell relevante Projekte, die ihre Arbeit auszeichnen – nicht nur, aber gerade auch in den Ländern, aus denen ihre Familien stammen. Ein Blick auf eine zeitgenössische Architektur in und aus Afrika, die die ganze Welt begeistert und prägt.
Die Nachwuchs-Förderin: MARIAM ISSOUFOU KAMARA
Mariam Kamara hat es geschafft. Die Architektin leitet ihr eigenes Studio, das Atelier Masōmī in Niamey, der Hauptstadt Nigers, mit einer Dependance in New York. Sie entwirft, entwickelt, erbaut Gebäude, öffentliche und kulturelle Orte, Wohn- und Gewerbekomplexe sowie Städtebauprojekte, denen es an internationaler Aufmerksamkeit nicht fehlt. Regelmäßig ist sie auf Prestige-Listen wie „AD100“ des renommierten Innenarchitektur-Magazins „Architectual Digest“ zu finden, oder auch „15 Creative Women of Our Time“ der „New York Times“. Kurzum: Mariam Kamara ist eine der bedeutendsten Architektinnen unserer Zeit.
Das muss man erstmal schaffen. Denn immer noch, so wird die Nigrerin niemals müde zu betonen, fehlt es gerade den jungen Kreativen vom afrikanischen Kontinent an Aufmerksamkeit und Förderung, an Stipendien allen voran. Es sind diese Hürden, auf die afrikanische Architektinnen und Architekten im internationalen Wettbewerb häufig stoßen, die Kamara immer wieder in Vorträgen und Texten thematisiert – auf Talks und Podien, in Beiträgen für Architektur-Bücher und bei wiederkehrenden akademischen Engagements, etwa an der Brown University oder der Harvard Graduate School of Design.
Mariam Kamara selbst, 1979 im französischen Saint-Étienne geboren, studierte erst Informatik an der New York University, entschied sich später aber für ein Architektur-Studium an der University of Washington. Nach einer kurzen Zeit als Teil der US-Architekturgruppe United4Design, die sie mitbegründet hatte, kehrte sie 2014 nach Niger zurück; in das Land ihrer Eltern, um ihr Studio Masōmī zu gründen. Ihr fester Glaube: Die Architektur spielt eine eminente Rolle in der Erstellung sozialer Gefüge, ist ein gesellschaftlicher Kitt, der dem Alltag der Menschen Qualität und Würde verleihen kann. So sind es vor allem Kamaras öffentliche Architekturen, die sowohl Kritikerinnen und Kritiker als auch die Menschen, die täglich mit ihnen leben, tief berühren.
Für das rasant wachsende Dorf Dandaji im Niger zum Beispiel entwickelte die Architektin einen neuen Marktplatz, der einen regelmäßigen Handel auch mit stetig steigenden Stand- und Besucherzahlen organisierbar macht. Farbstarke Metall-Elemente, die auf Gestängen ringsherum zu schweben scheinen, dienen dabei sowohl als Sonnenschutz wie auch als erhebende ästhetische Auflockerung. Aktuell arbeitet Mariam Kamara an einem Kulturzentrum in Niamey, das sich mit seinen runden Formen und rötlichen Sandfarben behutsam in die Nachbarschaft einbetten soll, sowie an Projekten im Nahen Osten, dem Senegal und Somalia, Großbritannien und den USA.
Oben: Die ehemalige Moschee des Dirfes Dandaji in Niger ließ Mariam Iggoufou zu einer modernen Bibliothek umgestalten. Viele dramatische, himmelwärts gerichtete Elemente sind dem Bau geblieben. Fotos © James Wang Unten: Farbstarke Metallelemente lockern Kamaras Architektur eines Dorfes in Dandaji auf und spenden zugleich Schatten für Händler:innen und Besucher:innen. Foto: Maurice Ascani © Atelier Masomi
Ein Mann, der Schule(n) macht: DIÉBÉDO FRANCIS KÉRÉ
Es sind seine persönlichen Erfahrungen, die Francis Kérés Arbeit bis heute prägen. 1965 in Gando geboren, einem Dorf in Burkina Faso, war er der erste seiner Familie, der eine Schule besuchen konnte. Mit nur sieben Jahren verließ Kéré dafür seine Familie, um in der Stadt Tenkodogo zu lernen – in einen grauen Zementbau, ohne Ventilatoren, ohne Licht, hunderte Schülerinnen und Schüler in einem großen Raum. Fast 30 Jahre später ist es ebenfalls ein Schulgebäude, das Francis Kéré, mittlerweile Architekt, den internationalen Durchbruch bringt. In seinem Heimatdorf baut er 2001 die „Gando Primary School“, eine Grundschule, auf deren schmalem Unterbau ein großzügiges, schräges Dach thront, durch das Luft und Licht ins Gebäudeinnere geleitet wird. Dazu gibt es große Fenster mit bunten Fensterläden.
Den Bau konnte Kéré durch „Gando e.V.,“ später „Kéré Foundation e.V.“ realisieren: ein gemeinnütziger Verein, den der Architekt 1998 in Berlin gegründet hatte, um das Recht eines jeden Kindes auf einen angemessenen Klassenraum nicht nur zu unterstreichen, sondern auch konkret zu ermöglichen. In der deutschen Hauptstadt war Kéré über ein Zimmerer-Stipendium gelandet; 1985 arbeitete er hier an Möbeln und Modellen, besuchte zudem eine Abendschule. 1995 folgte ein weiteres Stipendium, dieses Mal für ein Architektur-Studium an der Technischen Universität Berlin, das er 2004 abschloss. Ein Jahr darauf gründete er hier sein Studio Kéré Architecture.
Es sind Schulen geblieben, denen sich der Architekt mit großer Leidenschaft widmet, darüber hinaus medizinische Einrichtungen. Ähnliche Projekte wie in seiner Heimat verwirklichte er in Kenia, Mosambik und Uganda. Zahllose Preise konnte Kéré entgegennehmen – zuletzt in diesem Jahr den renommierten Pritzker-Preis – für sein Engagement, das eben nicht nur auf der Erstellung attraktiver Architekturen basiert. Kérés Arbeit garantiert unzähligen Menschen medizinische Behandlung in passenden Räumlichkeiten. Sie ermöglicht Tausenden Kindern in mehreren afrikanischen Staaten ein Lernen in geeigneten Umgebungen. Sie schafft Bildungs- und Berufsmöglichkeiten, eine Zukunft.
Heute pendelt Francis Kéré zwischen Burkina Faso und Berlin, realisiert architektonische Projekte jeglicher Couleur in Deutschland und Dänemark, Italien und der Schweiz, in Großbritannien und den USA, in vielen afrikanischen Ländern außerdem. Sein Wissen gibt er auch als Gastprofessor weiter – unter anderem lehrte er an der Harvard Graduate School of Design und der Yale School of Architecture.
Oben: Portrait Diébédo Francis Kéré © | Sein Sarbalé Ke ließ Kéré 2019 für das Coachella Festival in Kalifornien bauen. Der Name des Gebäudes entstammt der Sprache Bissa, die in Teilen Burkino Fasos gesprochen wird, und bedeutet übersetzt passenderweise "Haus des Festes, Foto: Iwan Baan Unten: Kérés Startup Lions Campus im kenianischen Turkana County. Eine sachliche, kompromisslos moderne Architektur entspricht dem Think Tank für Informations- und Kommunikationstechnologien, Foto: Kinan Deeb for Kéré Architecture | In seinem Heimatdorf baute Kéré 2001 die Grando Primary School, eine Grundschule, die mit viel Luft, Licht und bunten Fensterläden das Lernen erleichtert. Foto: Siméon Duchoud
Aufregend museumsreif: SIR DAVID ADJAYE
Seit 2017 wird David Adjaye mit Sir David Adjaye angesprochen – seit ihn Königin Elizabeth II zum Ritter geschlagen hat. Nur ein Jahr zuvor wurde The Smithsonian National Museum of African American History and Culture in Washington fertiggestellt, bei dessen Entwicklung Adjaye federführend war. Die Eröffnung des imposanten Baus, dessen Struktur an eine klassische, dreiteilige Säule aus Basis, Schaft und Kapitell angelehnt ist, nannte die „New York Times“ damals das „kulturelle Event des Jahres“. Schon einige Jahre zuvor hatte der Architekt mit einem anderen, nachhaltig konzipierten Museumsbau in den USA für Aufsehen gesorgt: 2007 war sein geradliniges, auf rechteckigen Glasfassaden basierendes Museum of Contemporary Art Denver eröffnet worden.
Sir David Adjaye ist bekannt für seine eklektischen Bauten, für einen ungewöhnlichen Materialeinsatz und seine skulpturalen Entwürfe. Neben der Architektur widmet er sich auch dem Produkt- und Interiordesign. Und doch ist es gerade die Entwicklung kultureller, künstlerischer, kreativer Orte – Museumsbauten allen voran –, die ihn zu einem der bedeutendsten Architekten seiner Generation gemacht hat. Ein Ruf, der es ihm erlaubt, internationale Projekte zu realisieren, die das Verständnis einer zeitgenössischen Architektur global beeinflussen. Ein weltumspannendes, kultursensibles Verständnis, dass sich auch aus Adjayes Biografie ergibt.
Geboren wurde er 1966 in Tansania, aufgewachsen ist Adjaye in Ägypten und Saudi-Arabien. Bevor er für renommierte Architekten wie Eduardo Souto de Moura und David Chipperfield arbeitete, studierte er in London – seinen Master machte er dort am Royal College of Art. 2000 eröffnete er sein erstes eigenes Architekturstudio, heute unterhält Adjaye Associates Büros im ghanaischen Accra, in London und New York.
In Material- und Farbauswahl, Stil und Attitüde mögen sich die Arbeiten des Architekten stark unterscheiden: Sei es Ruby City, ein im besten Sinne klotziger roter Bau, der ein Zentrum für zeitgenössische Kunst im texanischen San Antonio beherbergt; das aus mehreren, kastigen Türmen bestehende interdisziplinäre Africa Institute der Stadt Schardscha in den Vereinigten Arabischen Emiraten; oder auch Adjayes kommerziellere Projekte wie der Luxus-Flagshipstore „The Webster“ in Los Angeles. Was sie aber alle eint, ist die Fähigkeit, durch völlig neue, ungewöhnliche Typologien Diskurse anzustoßen über die Kultur und das Kulturelle.
Oben: Adjayes erstes Hochhaus in den USA, hier im Hintergrund, entspricht in seiner rötlichen Farbe und mit rundlichen Fenstern den traditionelleren Architekturen New Yorks, Foto: W. Katamashvili | Sir David Adjayes Moscow School of Management. Mit seinem Entwurf wollte der Architekt die Idee eines klassischen Universitätsgebäudes aufbrechen und stattdessen viele einzelne Winkel und Lernorte schaffen © T. Stanislav Unten: Ein eher kommerzieller Bau: Der Luxus Flagshipstore The Webste in Los Angeles © Adjaye Associates | Im texanischen San Antonio steht Adjayes Ruby City. Ein im besten Sinne klotziger roter Bau, der ein Zentrum für zeitgenössische Kunst beherbergt. © Adjaye Associates
Im Dienst der Gesellschaft: CHRISTIAN BENIMANA
Es ist die Langlebigkeit, die Christian Benimana besonders interessiert. Als Senior Principals and Managing Director der internationalen MASS Design Group setzt er sich für Fairness und eine gerechte Verteilung in der Branche, außerdem für eine konsequent nachhaltige Gestaltung ein. Das natürlich auch als Direktor des hier integrierten African Design Centres, das praxisorientierte Ausbildungen für junge Architektinnen und Architekten, Designerinnen und Designer bieten will. 2010 kam Benimana zu MASS. Die Abkürzung steht für „Model of Architecture Serving Society“ – eine Gruppe also, die sich einer Architektur widmet, die „der Gesellschaft dient“. Dem Verständnis des Unternehmens folgend wird ein Entwerfen und Bauen angestrebt, das den Menschen in den Fokus rückt, Gemeinschaften schafft und prägt, neue, zukunftsfähige Narrative durch Architekturen ergibt.
Mehr als 200 Kreative sind an den MASS-Projekten beteiligt, Architektinnen und Landschaftsarchitekten, Ingenieurinnen und Handwerker, Designerinnen, Autoren und Filmemacher aus rund 20 Ländern. Das Unternehmen, das vom „Wall Street Journal“ 2020 zum „Architecture Innovator of the Year“ ernannt wurde, unterhält Büros und Zentren in Boston und Santa Fe, in Bozeman und Poughkeepsie – und in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda. Hier arbeitet Benimana, in dem ostafrikanischen Staat wurde er auch geboren.
Er studierte Architekturwissenschaften an der Tongji-Universität in Shanghai und war später Generalsekretär des East Africa Institute of Architects, bevor er sich selbst vornehmlich der Ausbildung neuer, junger, kreativer Architekturstimmen aus Afrika widmete: Erst lehrte er am damaligen Kigali Institute of Science and Technology, dann kam er zu MASS, um sich hier vor allem der Nachwuchs-Arbeit zu widmen. In Artikeln und Publikationen beschreibt er sein Ziel hierbei als Unterstützung und Formung der nächsten Generation afrikanischer Kreativer in sozial ausgerichteten Architektur- und Design-Disziplinen.
Zu den Gebäuden, die unter Benimanas Aufsicht entstanden sind, zählt etwa das Gheskio-Centre, eine architektonisch auf spitz zulaufenden, durchlöcherten Strukturen basierende Fachklinik in Haiti. Das Zentrum konnte dazu beitragen, dass der karibische Staat nach einem verheerenden Ausbruch im Jahr 2010 nunmehr seit drei Jahren keinen Fall von Cholera zu verzeichnen hat. Auch die Umubano Primary School, ein langgezogener, heller Grundschulbau mit einem ausgeklügelten Belüftungssystem in Kigali, gehört zu den Projekten, denen sich Benimana unlängst widmete.
Oben: Das Bezirkskrankenhaus in der Provinz Burera nach einem Entwurf der MASS Design Group. Die Klinik spielt eine wichtige Rolle in der Stabilisierung des Gesundheitssystems von Ruanda. © MASS Design Group | Bevor das Bezirkskrankenhaus in Butaro 2011 fertiggestellt worden war, hatten viele Menschen in der Region überhaupt keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. © MASS Design Group Unten: Aktuell unterstützt die MASS Design Group den Bau eines Instituts für Konservierende Landwirtschaft in Ruanda © MASS Desgígn Group | Das Projekt Butaro Doctors’ Housing – erbaut in direkter Nachbarschaft zum Butaro District Hospital – kombiniert nachhaltige Architektur mit lokalem Handwerk, um medizinisches Fachpersonal langfristig vor Ort zu halten. © MASS Design Group