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- stilwerk
- 21. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Mai
Ein wildes Lokal auf dem Dach eines ehemaligen Autolagers mitten in Kopenhagen. Doch es steckt noch mehr dahinter als nur ein ungewöhnlicher Ort: Ein Gespräch mit "Gro Spiseri"-Manager Steen Kristensen über nachhaltige Gastronomie und Gemüseanbau in der Großstadt.

Interview: Silke Roth für stilwerk
Wie kommt man auf die Idee, ein Restaurant mitten in einem urbanen Gartenprojekt zu betreiben?
Steffen Steen Kristensen: 2014 haben meine Kollegen Kristian und Livia das Farmprojekt Østergro gegründet. Øster kommt dabei von unserem Kopenhagener Stadtteil Østerbro, und gro heißt auf Dänisch wachsen. Damals hatten beide das Gefühl, ein Restaurant wäre eine gute Ergänzung. Also haben sie unser gläsernes Gewächshaus für Pop-up-Events vermietet. Wenig später wollte jemand ein ständiges Restaurant hier betreiben, und nach zwei Jahren haben wir es übernommen. Unsere Farm und alle Projekte, die wir rund um das Thema lokale Landwirtschaft betreiben, machen sehr viel Arbeit. Wir wollten es einfach selbst in die Hand nehmen, damit das Restaurant am besten davon profitiert.
Aber zuerst entstand der Garten auf dem Dach …
S.S.K: Genau. Livia hatte vorher ein Praktikum in New York bei „Brooklyn Grange“ gemacht, ein amerikanischer Vorreiter in diesem Bereich. Zurück in Kopenhagen wollten Kristian und sie auf Anhieb ein ähnliches Projekt realisieren – nur die richtige Location fehlte. Dann kam Jac Nelleman auf uns zu. Sie müssen wissen, wir sitzen hier auf einem alten Lagerhaus, das dem ehemaligen, dänischen Rennfahrer gehört. Hier wurden früher Autos gelagert und versteigert. Somit ist das Flachdach extrem tragfähig, bis zu 400 Kilogramm pro Quadratmeter! Das ist in Kopenhagen echt selten. Wir haben einen Vertrag mit Jac gemacht: Er stellt uns das Dach zur Verfügung und im Gegenzug darf er hier so oft essen, wie er möchte. Wir wurden außerdem von einem Fonds für Bio-Landwirtschaft und „Klimaquartier” unterstützt. Letzteres ist ein Nachbarschaftsprojekt. Kopenhagen hat nämlich ein großes Problem: den Regen. Die Stadt hat viele geschlossene Oberflächen, und bei heftigen Schauern kann das Wasser nicht ablaufen. Deshalb werden Projekte unterstützt, die Experimente und Lösungen in Sachen Klima-Anpassung zeigen.
Wie genau muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
S.S.K: Wir sind ein Team von zwölf Leuten. Den stärksten Zulauf haben unsere Gärten. Es gibt eine Warteliste von 300 Leuten, die hier mitgärtnern wollen. Das Restaurant hat momentan von Donnerstag bis Sonntag geöffnet, es gibt eine lange Tafel für alle Mitglieder. Social Dining nennen wir das. Die aktuellen Einschränkungen erschweren uns natürlich die Arbeit. Gerade dürfen nicht mehr als zehn Personen im Restaurant sein, das Gleiche gilt für die Gärten. Aber zum Glück gibt es noch unsere Community FaelleGro. Hier bringen wir Menschen mit lokalen Erzeugern der Umgebung zusammen. Uns ist es wichtig, dass Großstädter lernen, regional und nachhaltig zu denken und zu konsumieren.
Also sehen Sie sich gleichzeitig als Lehranstalt?
S.S.K: Unbedingt. Wir sehen uns nicht als Produzenten von nachhaltigen Lebensmitteln, sondern als Produzenten von Wissen. Wir wollen den Menschen beibringen, wie ein ökologischer und bio-dynamischer Anbau funktioniert. Deshalb fördern wir den Austausch mit lokalen Bauern. Dort kaufen wir auch unsere Vorräte für das Restaurant.
Das heißt, Sie kochen nicht nur mit Sachen aus Ihrem Urban Garden Projekt?
S.S.K: Nein, das würde nie reichen! (lacht) Aus unserem Garten kommt nur ein kleiner Teil: Kräuter, Salate, Blüten. Gut 95 Prozente beziehen wir über regionale Bauern.
Gibt es ein Lieblingsgericht der Gäste?
S.S.K: Ich glaube, das ist die falsche Frage für uns. Wir wechseln unser Menü saisonal – im letzten Winter sah es etwa komplett anders aus. Wenn wir eine Evergreen-Küchenphilosophie haben ist es die, nach dem Zero-Waste-Prinzip zu kochen. Wenn wir zum Beispiel Möhren ernten, machen wir aus der Schale Chips für eine Vorspeise. Alles wird verarbeitet. Unsere Gäste müssen vorab reservieren, so wissen wir genau, wie viele Menüs wir jeden Abend servieren und haben wir keine Abfälle.
Ist Kopenhagen offener für solche Konzepte als andere Metropolen?
S.S.K: Grüne Konzepte finden ja gerade in vielen Städten Anklang. In Kopenhagen kommt dazu, dass der kulinarische Standard ziemlich hoch ist. Die Konkurrenz ist groß, und Dänen haben einen gewissen Anspruch an ihr Essen. Das weltbekannte Restaurant „Norma“ war in dieser Hinsicht ein Wegbereiter mit seiner streng nordischen Sterneküche. Das zieht natürlich Foodies in die Stadt, und die kommen dann auch zu uns.
Das Interview erschien im stilwerk Magazin "Evergreen".