Die wunderbare Welt der Christine Sun-Kim
- stilwerk
- 30. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Am Schnittpunkt zwischen Klang, Kunst und Kommunikation: Genau hier setzt die Arbeit der amerikanischen Künstlerin Christine Sun-Kim an. Ähnlich vielschichtig ist auch dieser Artikel, liefert er doch nicht nur einen Einblick in ihre wunderbare Welt, sondern beschreibt auch, was schief gehen kann, wenn eine Journalistin ihr Idol interviewt.

Text: Friederike Steinert
Manchmal gibt es zwei Möglichkeiten, einen Artikel einzuleiten. Fangen wir mit der klassischen Variante an:
Ein Interview mit Christine Sun-Kim kann nicht mit anderen Interviews verglichen werden. Das liegt nicht nur daran, dass die Herstellung der Skype-Verbindung länger dauert als die Aufhebung der Linearität der Fragerichtung, sondern daran, dass Sun Kim ihre ganz eigene Herangehensweise an die Dinge hat. Ein Beispiel ist ihre Serie Six types of waiting in Berlin. Während andere an dem Tempowechsel, den ein Umzug von New York nach Berlin mit sich bringt, verzweifelt wären, hat sie aus dieser Erfahrung ganz einfach eine Serie, bestehend aus sechs Zeichnungen, gemacht. Darin spiegelt sie die typischen ersten Schritte eines Migranten in Deutschland – wie den Gang zur Einwanderungsbehörde, die Anmeldung bei der Krankenkasse oder Kontoeröffnung in einer Bank – anhand von Musiknoten und dynamischen Zeichen wider und macht Zeit sichtbar.

Doch zurück zum Interview, in dem ich meine sorgsam vorbereiteten Fragen innerhalb kürzester Zeit über Bord werfen kann. Statt dem vorgegebenen Weg zu folgen, führt mich Sun Kim durch ein wortgewordenes Spiegelkabinett. In dem Prozess knüpft meine Gesprächspartnerin immer wieder an zuvor angesprochene Punkte an, hinterfragt meine Anmerkungen und Behauptungen, bittet um Erklärungen und sorgt so dafür, dass wir immer wieder vom größten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kommen. Ihr scheint es, untypisch für ein Interview, in aller damit einhergehender Ernsthaftigkeit, um gegenseitiges Verstehen zu gehen. Auch in ihrer Arbeit geht es immer wieder um Kommunikation – und den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Was sie umtreibt, sind oft die „Nuancen von Missverständnissen oder Sprachnuancen und Zwischentöne innerhalb von Kommunikation“, erzählt sie mir.
Und damit wären wir am Ende einer klassischen Artikeleinleitung; gehen wir aber an diesem Punkt noch einmal zurück auf Start, könnte man den gleichen Artikel auch mit folgender Einleitung beginnen:
Oft wird man davor gewarnt seine Idole zu treffen. Bis jetzt habe ich geglaubt, dass das ein typischer Fall von viel Lärm um nichts ist. Dass die Warnung durchaus Berechtigung hat, weiß ich seit diesem Mittwochnachmittag im Oktober. Für diesen Tag ist ein Interview mit Christine Sun Kim in meinem Kalender eingetragen – sie ist eine meiner liebsten Künstlerinnen und seit Jahren immer wieder ein wichtiger Referenzpunkt für mich. Ich habe mich dementsprechend noch einmal eingehend mit der Künstlerin und ihrem Werk befasst. Am Ende des Tages bin ich trotz alledem kein Stück auf das vorbereitet, was passiert: Die Künstlerin macht aus dem Interview kurzerhand ein Zwiegespräch, das meine Improvisationsgabe immer wieder auf die Probe stellt. Damit, dass ich meiner liebsten Künstlerin erklären muss, wie ich zu meinen Einsichten über ihre Arbeiten gekommen bin – und damit, dass ich mit meinen Ansichten teilweise auf offensichtlichen Widerstand stoße – habe ich nicht gerechnet. In ihrer Installation Game of Skill 2.0 konnten die Besucher einen von Christine geschriebenen Text hören – allerdings nur, wenn sie eine für das Projekt installierte Vorrichtung, die an einen Parcours durch die Galerie verknüpft war, richtig hielten. Während des Interviews kommt es mir so vor, als ob das Leben die Kunst imitiert.

Tanz-Video mit MIT Media Lab und Choreographin Karole Armitage, Fotos © Tate Tullier
Für mich wird auch das Schreiben dieses Artikels zu einer Kraftprobe. Ich denke immer wieder über die Möglichkeiten und das Versagen von Kommunikation nach und versuche damit umzugehen, dass ich gerade diesen, für mich so wichtigen, Artikel nicht in Sätze packen kann. Klingt ja auch fast wie ein Witz, dass meine Möglichkeiten der eloquenten Kommunikation in der Sekunde versagen, in der ich mit einer Künstlerin spreche, die die Grenzen ihrer eigenen Kommunikationsmöglichkeiten immer wieder überschreitet. Während die erste Deadline verstreicht, denke ich auch immer wieder daran, was sie gesagt hat, als wir über das Versagen als Künstler sprechen. Ihre Ansicht: „Wenn es nicht funktioniert, ist das in Ordnung, das ist irgendwie der Sinn von Kunst“. Mit diesen Worten im Ohr schreibe ich die x-te Variante des Artikels. Eines Artikels, der ungewöhnlich spät im Text erklärt, wer die Dame eigentlich ist und was sie macht:
Christine Sun Kim wurde 1980 als Tochter koreanischer Eltern in Kalifornien geboren. Ausgestattet mit einem Master in Kunst und einem in Sound & Music umfasst ihr bisheriges Oeuvre Zeichnungen, Performances, Installationen und Keramikarbeiten. Ihre Kunst wird nicht nur in ihrer Heimat in renommierten Museen wie dem New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt, sie findet weltweit Anklang. So wurden ihre Arbeiten bereits in der Tate Modern und auf der Art Basel sowie in unzähligen Galerien, von Melbourne bis Seoul, gezeigt.
Darüber hinaus ist die Kunst von Christine Sun Kim genauso vielschichtig und schwer zu erklären, wie es der verschwommene Bereich zwischen Verständnis und Missverständnis ist. Sie ist zeitgleich subtil und klar, lässt einen staunen und schmunzeln und schafft es, dem Betrachter das überhaupt nicht lachhafte Gefühl zu geben, mit seinen Stärken und Schwächen ein wichtiger Teil dieser Welt zu sein. Ich bezeichne ihre Kunst oft als emphatisch, ein Begriff, der mir sonst nicht oft einfällt, wenn ich an Kunst denke; es ist einer der Gründe, warum ich sie vorgeschlagen habe, als ich an das Wort Wunder, das dieser Magazin-Ausgabe zu Grunde liegt, gedacht habe.
Bild 1: Game of Skill 2.0 Konzept Christine Sun Kim Electronic Instrument Designer Levy Lorenzo MoMA PS1, New York Foto © Pablo Enriquez | Bild 2: Game of Skill 2.0 Foto © H. Paul Moon | Bild 3: Sitting in an Immigration Office’s Waiting Room Set Titel Six Types of Waiting in Berlin 50x65cm, Charcoal on paper 2017 © Courtesy of the Artist Christine Sun-Kim
Doch das ist noch nicht alles, was Christine Sun Kim so besonders macht. Im Gegensatz zu anderen Künstlern, die sich hauptsächlich und immer wieder mit Sound, Klängen und musikalischen Noten und Zeichen befassen, ist Christine gehörlos geboren. Als wir an einem Mittwochnachmittag skypen, bin ich in London, Christine in Berlin und Beth Staehle, ihre Dolmetscherin, schaltet sich aus Brooklyn zu. Bevor ich die erste Frage gestellt habe, gibt es also schon eine weitere, eine ungewohnte Ebene: Beth. Während sie ihren morgendlichen Kaffee trinkt, erzählt sie uns, wie sommerlich warm es in New York noch ist, danach verblasst die New Yorker Erzählebene – die Stimme von Beth und das Bild von Sun-Kim, das gesprochene Wort und die Gebärdensprache, verschwimmen und werden zu einem großen Ganzen. Christine erklärt diese Zusammenarbeit folgendermaßen: „Dolmetscher haben ihre eigene Persönlichkeit. Heute färbt Beth meine Stimme, die anderen Dolmetscher, mit denen ich arbeite, beeinflussen meine Stimme auf ihre Art und ich finde dieses Gefühl des sich etwas Ausleihens interessant. Ich leihe die Identität einer Person oder ich leihe ein System oder ich leihe eine Stimme.“
Ein Teil der Faszination, die ihre Arbeit ausmacht, entsteht aus diesem Zusammenspiel zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen wiedererkennen und neu entdecken. Der Twist, der ihren Arbeiten, egal wie unterschiedlich sie sein mögen, innewohnt, ist und bleibt dabei der Gleiche: Die Erfahrung des hörenden Betrachters ist der Erfahrung der Künstlerin exakt entgegengesetzt. Sie schafft die Gratwanderung zwischen Kunst, die nur durch ihre Biographie so entstehen kann und Kunst, die offen interpretierbar ist. Darauf muss man als Betrachter erstmal kommen. Christine Sun-Kim schafft mit ihrer Kunst Brücken, die sich an den Betrachter anzupassen scheinen.
Doch wo Brücken sind, gibt es auch Hindernisse, die überwunden werden müssen, und eins dieser Hindernisse bringt mich ins Straucheln: Als ich ganz selbstverständlich davon spreche, dass sie Welten erschaffe, stoße ich auf Widerstand. Sie mag die Idee nicht, so viel ist klar. Was mir zunächst nicht ganz so klar ist, warum dem so ist. Erst am Ende des Interviews stoße ich auf die Antwort: „Ein Cousin von mir hat mich mal Folgendes gefragt: ‚Gehörlos sein, das bedeutet, dass du als Fremde verschiedene Länder besuchst, ist das so? Du suchst diese Orte auf und folgst der dort gängigen Kultur und den Gebräuchen‘ und ich habe gedacht: ‚Ja, so fühle ich mich‘. Ich besuche vielleicht nicht andere Welten, ich habe das Gefühl, dass ich Teil der Welt bin, ich kommuniziere nur auf eine andere Art.“
Wie in ihrem gerade fertig gestellten neuesten Projekt, einem Tanzvideo. Darin verschwimmen die Grenzen zwischen Gebärdensprache und Tanz. Die Kollaboration mit der Choreographin Karole Armitage ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Kreativität von Christine Sun Kim keine Grenzen kennt und dass Kommunikation in vielerlei Gestalt daherkommen kann – und dass Kunst die Grenzen des Möglichen und des Unmöglichen verwischen und manchmal sogar wegfegen kann.
Irgendwann im Interview und eigentlich nur als Nebensatz in die Unterhaltung geworfen, meint sie, dass sie eine riesengroße Stimme hätte, dass alles was fehlen würde, der angeschlossene Klang sei. Es ist ein Gefühl, dass jeder kennt. Ein Gefühl, das mich fast dazu gebracht hätte, diesen Artikel nicht fertig schreiben zu können, eine Realität, die Christine Sun Kim nicht daran hindert, trotzdem neugierig und interessiert durch die Welt zu gehen. Etwas, das dafür sorgt, dass ich, wenn ich könnte, am liebsten morgen wieder mit ihr skypen würde.














